Wirkweise & Wissenschaft

Noch bis zur Jahrtausendwende findet sich in der Literatur (zb im Bereich der Angstforschung) die Einschätzung, dass das emotionale Gedächtnis sehr wahrscheinlich nicht veränderbar sei, dass beispielsweise ängstigende Belastungserinnerungen, „einmal von der Amygdala gebildet, unauslöschlich ins Gehirn gebrannt“ seien und „wahrscheinlich ein Leben lang erhalten bleiben.“ (LeDoux, 2001).

Erste Hinweise, dass diese Einschätzung nicht richtig sein könnte, ergaben sich ab Mitte der 1990er Jahre durch klinische Studien zur Wirksamkeit der damals neuen Methode des EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, einer Traumabehandlung mittels Konfrontation in sensu und bilateraler Stimulation), in denen anhaltende emotionale Veränderungen gezeigt werden konnten. Studien von Nadel & Moscovitch (1997), die eine Plastizität des emotionalen Gedächtnisses unter bestimmten Umständen nachweisen konnten, wiesen ebenfalls in diese Richtung.

Die Veränderbarkeit des emotionalen Gedächtnisses gilt mittlerweile belegt (Hensel, 2020): 

Werden emotionale Erinnerungen aktiviert, geraten sie in einen fragilen, veränderungsoffenen Zustand, so dass neue Informationen assoziiert werden können und ein transformatorischer Prozess möglich wird (sog. „Rekonsolidierung“). Dieser führt zu stabilen und anhaltenden Veränderungen im emotionalen Erleben: Der Stress von damals ist rational noch erinnerbar, verliert aber seine emotionale Qualität.

Das Autonomietraining nutzt dieses Veränderungsprinzip (vgl. Langlotz in Hensel, 2020). In einem mehrstufigen Trainings-Prozess werden alte Gedächtnisinhalte mit einer Reihe von Diskrepanzerfahrungen in der Weise verschränkt, dass eine emotionale Distanzierung und dauerhafte Nachverarbeitung ermöglicht wird („Rekonsolidierung“, Nadel, Hupbach & Gomez, 2012): 

Autonomie-Training

  1. Problemaktivierung im Gedächtnis
  • durch Symbolisieren der Belastungserfahrung (zb als Spielstein, Klotz oder Stuhl)
  • durch Fokussieren der Wahrnehmung auf die Gedächtnisinhalte bezogen auf die verschiedenen Qualitäten (Körper, Gedanken, Affekte, innere Bilder)
  • durch Symbolisieren übernommener Informationen (zb als Stein, Klotz)
  • durch Einfühlen in verschiedene Positionen im Aufstellungsbild
  • durch Symbolisieren der nachteiligen Kompensationsstrategien
  1. Disidentifikation bzw. Diskrepanzerfahrung bei dualer Aufmerksamkeit
  • durch Einführung eines Symbols für die Grenze (z.b. Stift, Lineal, Schal, Paravent)
  • durch Aussprechen rational nachvollziehbarer Sätze, die im Kontrast zum emotionalen Erleben stehe (zb „Du bist die Erfahrung von damals und ich bin ich.“)
  • durch symbolische Rückgabe übernommener Information  (zb Stein „aus dem symbolisierten Raum herausstellen“)
  • durch Abgrenzungsritual als Diskrepanz zur kindlichen Erfahrung des Ausgeliefertseins
  1. Resscourcenaktivierung
  • durch Erarbeitung eines imaginierten Zielzustands
  • durch Informationsvermittlung im Laufe des Trainings
  • durch Symbolisieren dieses sog. erwachsenen Selbstes
  • durch symbolisches Nachholen der Selbst-Achtung – Selbstwertaufbau
  • durch symbolisierte Zuwendung zum „inneren Kind“

Es gibt erste Versuche, die Effekte des Autonomie-Trainings zu untersuchen. Zwei Masterarbeiten aus dem Jahr 2020 und 2021, Fachbereich Psychologie der Universität Eichstädt, unter der Leitung von Prof. Dr. Rita Rosner geben erste Hinweise auf positive Effekte bspw. auf Depressivität. (Hier einsehbar nach abschließender Begutachtung und Freigabe durch die Universität. Untersucht wurden mehrere Gruppentrainings unter der Leitung von E. R. Langlotz. Die Zahl der Studienteilnehmer ist jedoch noch nicht groß genug, um die Ergebnisse verlässlich abzusichern. Hier bedarf es weiterer Forschung. Die klinische Erfahrung in meiner Praxis und von Kollegen, die mit der Methode arbeiten, deuten auf vielversprechende Effekte hin. Daher biete ich diese Methode seit fast 10 Jahren in meiner Praxis an, vor der Pandemie mehrere Jahre als Gruppen-Workshops.

Quellen zitiert nach T. Hensel,  Stressorbasierte Psychotherapie, 2. Aufl. 2020

Langlotz, E. R. in Hensel, T. (2020). Stressorbasierte Psychotherapie. Stuttgart: Kohlhammer

Nadel, L. Moscovitch, M. (1997). Memory Consolidation, retrograde amnesia and hypocampal complex. Current Opinion in Neurobiology, 7, 217-227.

Nadel, L., Hupbach, A., Gomez, R., Newman-Smith, K. (2012): Memory Funktion, consolidation and transformation. Neuroscience and Biobehavioral Reviews. 36, 1640-1645.

LeDoux, J. (2001). Das Netz der Gefühle. Wie Emotionen entstehen. München: dtv.